Prüfungen sind elementarer Bestandteil des universitären Alltags – sowohl für Studierende als auch für Lehrende. Als formalisierte Verfahren sollen sie unter anderem als Abschluss einer Lehr-/Lerneinheit oder eines Studiengangs dienen und Rückschlüsse auf individuelle Lehr-/Lernerfolge bzw. Bildungsprozesse zulassen.
Die erzielten Ergebnisse können Studierenden weiterführende Chancen eröffnen oder verschließen und nehmen daher direkten Einfluss auf Bildungs- und Erwerbsbiographien. Um sicherzustellen, dass Prüfungsverfahren ausschließlich leistungsbezogene Kriterien zu Grunde liegen, ist eine diversitätssensible Gestaltung von Prüfungen so wichtig.
Wie können Sie dafür sorgen, dass die Planung, Durchführung, Bewertung und Nachbereitung von Prüfungsleistungen möglichst diversitätssensibel erfolgt?
Folgende Gedanken und Fragen sollen ein Angebot zur Reflexion der eigenen „Prüfpraxis“ sein:
- Studienanfänger:innen schildern gelegentlich, dass ihnen das Gefühl vermittelt werde, „herausgeprüft“ zu werden. Finden Sie einen guten Weg, den Studierenden den Ernst der Lage zu vermitteln, ohne sie zu verunsichern?
- Wie transparent vermitteln Sie während des Semesters die Lernziele Ihrer Veranstaltung?
- Orientiert sich die inhaltliche und formale Gestaltung Ihrer Prüfung an den vorausgegangen Lehr- und Lerninhalten sowie Lernzielen?
- Werden die angebotenen Prüfungsformate und -kriterien im Vorfeld transparent kommuniziert?
- Sind den Studierenden der Ablauf und die Rahmenbedingungen der Prüfung bekannt? (Zeit, Raum, Pausen, Anmeldung, Anwesende, Diskussionskultur, kurzfristige Erkrankungen vor oder während der Prüfung, Täuschungsversuche, …)
- Planen Sie Ihre Prüfungen räumlich und zeitlich inklusiv? (Barrierefreie Erreichbarkeit der Räume, Akustik, Berücksichtigung nicht-christlicher Feiertage, Kitaschließzeiten, …)
- Stellen Sie Ihren Studierenden barrierefreie Materialien zur Verfügung?
- Achten Sie auf eine diversitätssensible und diskriminierungsarme inhaltliche Gestaltung der Prüfungsgegenstände und -formate? (z.B. Vermeidung der Reproduktion von Stereotypen in Fallbeispielen; Erläuterung, wenn Körperkontakt notwendig ist)?
- Konzipieren Sie Ihre Prüfungen kompetenzorientiert?
Eine zentrale Forderung der Bologna-Reform ist die Verlagerung des Fokus von ‚reiner Wissensvermittlung‘ hin zu einer kompetenzorientierten universitären Bildung.
Für Prüfungen bedeutet dies, statt oder neben einer Abfrage von Fachwissen die „Frage zu adressieren, ob Studierende Kompetenzen in einer Art und Weise entwickelt haben, die sie zur Lösung relevanter Probleme befähigt.“[1] - Haben Sie die Möglichkeit, unterschiedliche, aber gleichwertige Prüfungsformate anzubieten?
Eine einheitliche Prüfungsform für alle Studierenden führt unausweichlich zu Benachteiligungen. Learning Outcomes können dabei häufig anhand unterschiedlicher Formate überprüft werden.[2] Das Festhalten an klassischen Prüfungsformaten „wie Klausuren, mündliche Prüfungen, Hausarbeiten führt zu einer Bevorzugung von ‚traditionellen‘ gegenüber ‚nichttraditionellen‘ Studierenden. Studierende mit einem berufspraktischen Hintergrund haben häufig den Eindruck, dass ihre Ausbildung sie nicht adäquat auf akademische Arbeitsweisen und klassische Prüfungsformen vorbereitet.[3] - Sind Sie mit Handlungsoptionen für kritische Prüfungssituationen vertraut? (z.B. bei starker Prüfungsangst der zu prüfenden Person)
- Kennen Sie Nachteilsausgleiche und kommunizieren Sie die Möglichkeiten an Ihre Studierenden?
Das rheinland-pfälzische Hochschulgesetz verlangt, dass Hochschulen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben die Vielfalt ihrer Mitglieder und Angehörigen berücksichtigen und Benachteiligungen verhindern oder beseitigen.[4] Darüber hinaus fordert es von Prüfungsordnungen, „dass Studierenden mit Behinderung oder chronischer Erkrankung zur Wahrung ihrer Chancengleichheit ein angemessener Nachteilsausgleich zu gewähren ist.“[5] Nachteilsausgleiche bedürfen jedoch der Offenlegung der individuellen Situation. Studiengänge, die bereits möglichst barrierefrei konzipiert werden, können den Bedarf an Nachteilsausgleichen reduzieren. - Können Sie Ihre Erfahrungen bei der Revision von Prüfungsordnungen einbringen?
Im Zuge von Nachteilsausgleichen erhalten Studierende individuelle Hilfen und Unterstützung, während standardisierte Prüfverfahren erhalten bleiben. Es handelt sich demzufolge um Anpassungsmaßnahmen an ein bestehendes System. Dieses System langfristig chancengerechter zu gestalten, ist Teil einer diversitätssensiblen und diskriminierungsarmen Hochschulkultur.
Teilen Sie Ihre Erfahrungen und weisen Sie das zuständige Studiendekanat oder den Prüfungsausschuss darauf hin, unterschiedliche Prüfungsformate im nächsten Reakkreditierungsprozess zu berücksichtigen, um Benachteiligungen zu vermeiden. - Gewähren Sie Ihren Studierenden (mit dem Einverständnis aller Beteiligten) Einsicht in Prüfungsleistungen, um vielfältige Ergebnisse sichtbar zu machen?
[1] Gartmeier/ Sonnleitner 2022: 8
[2] Linde/ Auferkorte-Michaelis 2017: 154
[3] Linde/ Auferkorte-Michaelis 2017: 151f
[4] Vgl. HochSchG § 2 (3)
[5] HochSchG § 26 (4)
Servicestelle für barrierefreies Studieren der JGU: Informationen zu Nachteilsausgleichen und Klausurbetreuungen
Gaus, Daniel (2018): Handreichung der Prüfungswerkstatt: Kompetenzorientiertes Prüfen. Zentrum für Qualitätssicherung und -entwicklung an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.
Hochschulgesetz (HochSchG) Rheinland-Pfalz (2020)
Jorzik, Bettina (2013) (Hg.): Charta guter Lehre – Grundsätze und Leitlinien für eine bessere Lehrkultur. Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. Essen 2013.
Gartmeier, Martin/ Sonnleitner, Karin (2022): Editorial: Prüfen im Kontext kompetenzorientierter Hochschulbildung. In: ZFHE – Zeitschrift für Hochschulentwicklung. Bd. 17 Nr. 1 Prüfen im Kontext kompetenzorientierter Hochschulbildung.
Linde, Frank/ Auferkorte-Michaelis, Nicole (2017): Diversitätsgerecht Lehren und Lernen. In: K. Hansen (Hg.): CSR und Diversity Management, Management-Reihe Corporate Social Responsibility. Springer-Verlag. Berlin Heidelberg.